| Friday, 04.10.2019 Liminal Bodies

Rite de Passage Montmartre

Der ‚esprit Montmartre‘ ist heute gleich mit mehreren Generationen namhafter Künstler verbunden, der die Masse marginalisierter, weiblicher Musen dieser Künstlerbohème gegenübersteht. In der historischen Rückschau widersetzt sich insbesondere die amerikanische Serpentinentänzerin Loïe Fuller dieser stereotypen Hierarchisierung, die als erster interkontinental reüssierender Popstar gefeiert wurde. Keine Zeitgenossin wurde auch nur annähernd so oft in Kunstwerken dargestellt. In Mittelpunkt meines Beitrags sollen nicht derlei Werke stehen, sondern die gender-sozialen Implikationen ihres Entstehens: Wie hat die ungebremste Bildproduktion auf die soziale Randgruppe der Künstler am Montmartre gewirkt und wie wiederum auf deren Verhältnis zur Avantgardetänzerin Fuller?
Zunächst ist festzustellen, dass Fullers multimediale Licht- und Tanzperformances ihre männlichen Kollegen nachhaltig zu einer Reflektion des eigenen, künstlerischen Mediums angeregt hat. In einem interpikturalen Diskurs wurde in Plastik, Malerei, Lithographie, Poesie usw. Argumente vorgetragen, warum gerade das jeweilige Medium am vorzüglichsten geeignet sei, die in Form und Farbe stets im Wandel begriffenen Tänze wiederzugeben. Wie erst kürzlich für die Frühe Neuzeit dargelegt, sind kompetitive Produktionen aber nicht als missgünstige Rivalitäten zu verstehen (van Gastel/Hadjinicolaou/Rath 2013). Der moderne Paragone um 1900 muss stattdessen als rite de passage (van Gennep) für die homosoziale Künstlerbohème gelesen werden. Qua künstlerischer Medienreflexion anhand ‚la Loïe‘ emanzipierte man sich intellektuell von der zunehmend pansozialen Menge am Montmartre, um sich im selben Atemzug als Außenseiter zu konstituieren.
Wenngleich die zahllosen künstlerischen Darstellungen und selbst die Kunstkritik Fuller mit ihren männlichen Kollegen in Relation setzten, blieb ihr der Zugang zu dieser Künstler-Randgruppe selbst doch verwehrt. Fuller überbot ihre berühmten, tanzenden Kolleginnen und wurde ihnen entsprechend nicht zugerechnet; als Inspirationsquelle und Sujet wurde ihr aber dennoch eine tradiert weilbliche Rolle zugewiesen. Die als bedrohlich kreativ empfundene Amerikanerin wurde damit nicht nur kollektiv domestiziert: Während sich das homosoziale Avantgarde über ihre Shows selbst konsolidierten, blieb die ‚fée électricité‘ Loïe Fuller selbst im liminalen Schwebezustand (Turner) zwischen Tänzerin und Künstlerbohème stecken.